Davongelaufen

Meine Lieben,

manchmal glaube ich, man verliert die Zeit, zumindest mir geht es so. Kürzlich hörte ich eine Sendung, in der gefragt wurde, welcher Sommer der beste gewesen sei. Der Befragte nannte drei Sommer aus seinem Leben, die er für außergewöhnlich hielt.

Ich begann nachzudenken. Welcher Sommer, welche Zeiten waren für mich herausragend?
Vergessen!

Ein wenig verzweifelt versuchte ich mich zu erinnern.
Ja, vieles fiel mir ein, Bruchstücke, Erinnerungsfetzen hier und da.

Aber um ein ganzes Stück zusammenzubekommen, mußte ich mich doch sehr anstrengen, tief graben, Ruhe um mich haben, aber auch Musik, sie hilft mir, bringt mich jeweils zurück zu den entsprechenden Orten.

Die Alhambra, ein großes Eingangstor, Mosaiken, mehr noch die Wasserspiele im Garten und die Höhlen der sogenannten fahrenden Völker am gegenüberliegenden Berg. Ein Abendessen auf der Hotelterrasse, die Alhambra im letzen Sonnenlicht. Wann das war und mit wem, da wird es schon schwieriger?

Ein Hotel südlich von Rom, die italienische Rudermannschaft für den Achter trainiert, zum Abendessen sind wir in einem malerischen Bergdorf. Jeder bekommt als kleines Geschenk das Rezept der Pasta und ein Gläschen aromatisiertes Olivenöl.

Bei ordentlichem, stürmischem Wind, fast schon Sturm im Camper über einen Höhenzug in den USA, da hörte ich zum ersten Mal Tim McGraw und zwar das https://youtu.be/pA9Z2teKB0A

Den Weg der Zöllner in der Bretagne. Galette und Moules, Cidre und zwei Keramik-Bols, die mich heute beim morgendlichen Müsli (falls ich eines esse) an diese Spaziergänge auf dem schmalen Weg über den Wellen erinnern.

Die Fahrt über den Vulkan in Japan, Udon Nudeln bei den beiden alten Männern.

Volleyball mit der Familie im Garten und der Opa hatte vorher ein Feld ausgemäht.
In der Bärenhöhle mit meinem kleinen Sohn und Safari mit den erwachsenen Söhnen.

Unterwegs mit dem Moped, meine Freundin als Sozia.

Ich halte meiner Mutter beim Sterben die Hand und küsse sie auf die Stirn.

84 Stufen zur Wohnung hoch, immer zwei Stufen auf einmal, nach der Geburt meines ersten Kindes und das Gewitter während der Geburt meines dritten Kindes.

Tenniskämpfe mit Freunden, mein letztes Fußballspiel mit weit über dreißig in der Firmenmannschaft, mein Gott war das anstrengend.

Dies ist natürlich keine vollständige Aufzählung, aber all das, all das kommt, wenn ich beginne nachzudenken und noch viel, viel mehr, ich kann es gar nicht alles fassen.
Ja, wenn ich jetzt 74 Jahre Zeit hätte und nicht gestört würde, könnte ich das wahrscheinlich mit einiger Mühe und Nachdenken aufschreiben, aber gerade so zu antworten, was war ein guter Sommer bzw. eine gute Zeit, ist schwierig.
Es gab übrigens auch wunderbare Winter, als ich stürzte und den Skiurlaub mehr oder weniger kochend für den Rest der Familie im Haus verbringen mußte.

Leben wir zu schnell, daß man solche Mühe hat, alles wieder aus der Versenkung zu holen?
Wenn ich jetzt hier so sitze und schreibe und den Laptop mit meinen Gedanken füttere, dann könnte ich stundenlang, tagelang, monatelang, jahrelang weiterschreiben, alles kommt zurück, man muß sich nur die Mühe machen.
Ist das die Mühe wert?
Ich weiß es nicht.
Es fällt mir jetzt wirklich sehr schwer aufzuhören zu schreiben, so viel war und und und …

Ich schließe den Laptop für einen Moment, lege meine Hände auf das kühle Metall, schaue über die Häuser und die Büsche im Garten auf das andere Seeufer.

Mein Gott, wo ist das ganze Leben hin?
Der Wind bewegt die Blätter an den Rosen.
Ein Hauch, verweht, nur ein Augenblick, entflohen.
Es stimmt, es gibt nur Jetzt und das ist immer gleich vorbei, ein Umschlagen der Zukunft in die Vergangenheit, dieser Umschlag ist das Jetzt, nicht länger als …, so daß man es gar nicht fassen kann.

Die Vögel zwitschern, die Sonne scheint und das wird sie auch noch, wenn meine Zukunft vorbei ist und nur noch die Vergangenheit steht.
Eckhard im Glück, jetzt, und nur das ist wichtig.

Ich wünsche euch einen nachdenklichen, bewußten Sonntag,
streitet nicht, haltet zusammen und paßt auf euch und die anderen auf.

Lieben Gruß vom See

Euer Eckhard/Papa/Opa