Meine Lieben,
und wieder war es vor zwei Wochen soweit: Die Zeit wurde umgestellt, weil wir im Herbst sind, eine Stunde zurück.
Für einen, für mich sehr, sehr wichtigen, wertvollen Menschen, meinen ehemaligen Chef Tom, wurde die Zeit leider abgestellt.
Seit fast 30 Jahren waren wir verbunden, er hat mich bei meinem letzten Arbeitgeber eingestellt, gehired wie man sagte, mich über die Jahre dort unterstützt, geführt, im wohlmeinenden Sinn, war mir immer eine sehr große Hilfe.
Nach ersten erfolgreichen Gesprächen in Europa flog ich nach Chicago in die Zentrale. Tom hatte mir im Hotel eine Nachricht zukommen lassen, daß er mich am nächsten Morgen um 8 Uhr an der Rezeption treffen würde, um mit mir dann in die Firma zu fahren.
Natürlich war ich schon um 3 Uhr wach, frühstückte gegen 6 Uhr und wartete dann angespannt in der Lobby. Pünktlich kam ein großer, stattlicher Mann, bestimmt zwei Köpfe größer als ich, das ist zwar keine Kunst, denn ich bin nicht sehr hoch, damals noch 172 cm, in den letzten 30 Jahren etwas geschrumpft. Im Ausweis steht zwar immer noch die alte Zahl, aber, ehrlich gesagt, bin ich doch schon in mehr als in den 160-ern.
Mein Aufenthalt war für mehrere Tage geplant, angefüllt mit unglaublich vielen Interviews, hier ein VP, dort ein President, immer wieder von Tom entsprechend vorbereitet. Alles lief super, dank ihm.
Also summa summa summarum alles paletti, ich wurde eingestellt und begann ein paar Monate später mit einem 14-tägigen Aufenthalt in Chicago, Vorbereitung auf meine neue Aufgabe.
Wieder war ich in demselben kleinen Hotel, Tom hatte mich dort einquartiert, es lag auf seinem Weg zum Office, so konnte er mich morgens mitnehmen.
An einem Abend, Tom hatte mir eine kleine Skizze gezeichnet, wie ich zu dem Diner komme, der auch seinen Lieblingsburger (Reuben Burger) anbietet. Da es schon recht dunkel war, knipste ich das Innenlicht im Auto an, um die kleine Skizze nochmals zu studieren, bevor ich losfuhr. Navi kannte man damals noch nicht.
Plötzlich rast ein Polizeiauto auf den Parkplatz, steht quer vor meinem Fahrzeug, zwei Polizisten springen heraus, zerren einen Mann aus dem Wagen, der mir direkt gegenüber steht. „Lay down, lay down“, schreien sie, was dieser auch macht. Seine Arme werden mit Handschellen auf dem Rücken fixiert.
Ich bin vor Schreck erstarrt!
Ich mache den bereits laufenden Motor aus, die Innenbeleuchtung ebenso und steige ganz vorsichtig und langsam wieder aus meinem Fahrzeug aus und gehe noch langsamer, aber zielstrebig zurück zum nahen Seitenausgang des Hotels.
Der Appetit ist mir für diesen Abend gehörig vergangen!
Tom und ich sind viel gemeinsam gereist, das hat uns beiden sehr viel Spaß gemacht.
Beim Absacker in einer Bar nach anstrengenden Meetings haben wir mit der Band gesungen, er „Don’t don’t cry for me, Argentina“, ich „Sailing“, eines seiner Lieblingslieder ist heute übrigens der Musiktitel der Sonntagsgedanken.
All das hat uns zusammengeschweißt und sich in eine wunderbare Freundschaft entwickelt!
An einem Abend, ich kann mich noch ganz genau erinnern, saßen wir in einem Straßencafé in Paris am Pigalle, als er einen Anruf vom CEO der Company, seinem früheren Chef, bekam, der ihm anbot, die Top-Position für den Personalbereich im Konzern zu übernehmen.
Lange haben wir an diesem Abend darüber gesprochen, für Tom war es schlimm, daß er dann, wie er sagte, nicht mehr so viel mit meinem Kollegen in AsiaPac und mir in EMEA reisen konnte.
Ich meinte damals, das kannst du ja nicht ablehnen, der „Big Cheese“ zu sein. Hat er dann natürlich auch nicht.
Trotzdem haben wir in den folgenden Jahren Zeit füreinander gefunden, für gemeinsame Reisen, viele gute Gespräche, haben uns gegenseitig Bücher zu unseren Geburtstagen geschenkt, CD’S mit Lieblingsliedern gebrannt und sind auch, nachdem wir beide in Rente waren, noch ein, zwei Mal zusammen gereist.
Für weitere Treffen hat uns Corona dann leider einen Strich durch die Rechnung gemacht und unser Kontakt bestand nur noch per Mail oder telefonisch.
Im Herbst 2023 war ich mit meinem ältesten Sohn in den USA, wollte ihm auch Chicago zeigen, bei einem Essen habe ich Tom gemeinsam mit Ryan das letzte Mal getroffen.
Habe ich euch eigentlich erzählt, daß, als ich mit 17 in Europa gegen den Vietnamkrieg demonstrierte, er dort als 21-jähriger Soldat im Einsatz war?!
Ich habe in den letzten Jahren oft an ihn gedacht, an unsere Gespräche, seinen Rat vermisst.
Froh bin ich, daß wir vor zwei Jahren die Gelegenheit hatten, uns noch einmal zu sehen.
Als ich sein Lieblingslied für euch, für diese Sonntagsgedanken, auswählte, kam alles zurück und ganz ehrlich, eine kleine Träne habe ich verdrückt.
Eine neue Auswahl der Sonntagsgedanken 2022–2023 ist gerade in gedruckter Form erschienen! Wenn ihr sie euch ins Regal stellen oder vielleicht verschenken mögt, könnt ihr sie hier als Softcover oder per ISBN bei der Buchhandlung eures Vertrauens bestellen.
ISBN-13: 9783695178643
Zur Spotify-Playlist mit der passenden Musik dazu gelangt ihr auch hier direkt.
Ich wünsche euch einen angenehmen Sonntag,
Paßt auf euch auf, streitet nicht und haltet zusammen.
Lieben Gruß vom See
Euer Eckhard/Papa/Opa


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