Meine Lieben,
seit Jahren habe ich immer einen großen Kalender mit Bildern von daheim. Also, ich meine von da, wo ich herkomme. Daheim bleibt ja meist daheim. Es gibt dann später natürlich immer wieder andere Daheims, aber die sind, glaube ich, zuhause, was jetzt nicht unbedingt weniger ist als daheim, aber trotzdem ist daheim eben daheim.
Auf dem Kalender sind Parks, Plätze, Häuserreihen, Straßenfeste, Natur aus der Umgebung, Statuen, ebenso alles, was man auf 12 Monatsbildern unterbringen kann.
Früher hat mir immer die Mutti diesen Kalender zu Weihnachten geschenkt, seit zwei Jahren muss ich mir den selbst besorgen. Das ist schwieriger als gedacht. Bin ich daheim, ist meist nicht der richtige Zeitpunkt; im Leben gibt es ja immer einen richtigen Zeitpunkt für alles.
Was diesen Kalender betrifft, ist dieser Punkt irgendwann kurz vor Weihnachten, wenn der Kalender schon im Laden ein erwartungsvolles Dasein führt. Im letzen Jahr musste ich dann den Fotografen des Kalenders anschreiben, weil ich zum falschen Zeitpunkt in der Heimatstadt war. Der Kalender hatte es noch nicht in den Verkauf geschafft.
Der Fotograf – ich glaube, er ist auch der Herausgeber – hat mir dann freundlicherweise einen Kalender zukommen lassen.
Ich frage mich: Wer kauft eigentlich diese Kalender? Daheimgebliebene?
Die kennen das doch alles in echt, also live!
Brauch‘ ich da noch einen Kalender? Man müsste eher alle Weggezogenen anschreiben; die würden bestimmt alle den Kalender kaufen, einfach um nochmals daheim und jung zu sein.
Naja, so ein Bild kann einen schon wieder jünger machen, man denkt dann an Spiele beim Stadtjugendring oder an den Keller im Haus der Jugend, wo man die ersten Partys gefeiert hat.
Ab und zu haben sich mal zwei nach draußen in den Park verzogen und kamen mit erhitzen Gesichtern wieder zurück; haben sich darüber beklagt, dass hier unten so ein schlechte, stickige Luft sei und sie nochmals lieber zum Abkühlen mal kurz vor die Tür müssten.
Wir kennen das ja alle!
Der Kalender hängt im Bad, links vom Waschbecken neben dem Fenster, rechts vom Rasierzeug.
Ich drehe Kalenderblätter nie vorher um, schaue mir das Bild des nächsten Monats erst an, wenn es soweit ist.
Am 1. freue ich mich jedesmal auf eine neue Einsicht, Rücksicht, Bildsicht.
Manchmal schaue ich dann, ob da vielleicht jemand versteckt ist, den ich kenne.
Gefunden habe ich noch nie einen. Vielleicht sind das aber alles auch nur Statisten, die man aus Karlsruhe oder Stuttgart geholt hat, wahrscheinlich finde ich deswegen niemanden.
Wenn ich dann so beim Zähneputzen aufs Bild schaue, dann überkommt mich ein Gefühl.
Heimweh?
Eigentlich nicht.
Ich hatte eigentlich noch nie Heimweh.
Mein kleiner Bruder, naja heute ist er auch schon weit über sechzig, hatte immer Heimweh, sogar ums Eck bei der Oma, mit Blick auf die Terrasse der elterlichen Wohnung hatte er Heimweh und er wollte doch so gerne auch einmal wie der große Bruder bei Oma und Opa übernachten.
Ich glaube, er hat das nie geschafft. Ich frage ihn nächstes Mal.
Warum kommt eigentlich der Begriff Heimweh aus der Schweiz? Man nannte es auch Schweizerkrankheit. Eine unbefriedigte Sehnsucht nach der Heimat ist das, so wird das beschrieben.
Ich glaube, man hat einfach das Verlangen nach etwas Vertrautem, nach einem Leben, das irgendwie einfach war. Man weiß das aber erst später, dass es einfach war.
Damals da war das genau so schwierig oder eben leicht wie ein Leben heute. Was mich zu dem banalen Schluss bringt, Leben ist immer jetzt.
Im Jetzt lebt man, die Zukunft wird von der Hoffnung gefüttert und im Rückblick darf man sich geborgen und daheim fühlen.
Ich bin froh, dass dieser Kalender im Bad hängt und mir jeden Morgen dieses Gefühl gibt.
https://youtu.be/Q_XgghFZt1o
Heimatlob von Martin Walser, ist heute meine Buchempfehlung
Ich wünsche euch einen angenehmen Sonntag,
streitet nicht, haltet zusammen und passt auf euch
und die anderen auf!
Lieben Gruß aus Landstuhl
Euer Papa/Opa/Eckhard
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