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Chronos und Kairos

Meine Lieben,

es ist Samstag, in Hofheim auf der Terrasse schaue ich über die Altstadt, aber auch immer wieder auf meine Uhr.
Mit einem silberfarbigen Fix-O-Flex Band umschließt sie meinen Arm. Der Corpus ist in derselben Farbe, das Zifferblatt schwarz. Die Sechs und die Neun sind Zahlen, die anderen Striche und der Zwölfer ist ein Dreieck, dessen Spitze zur Uhrenmitte zeigt.

Eine Drei gibt es nicht, also es gibt sie schon, aber wo sie normalerweise stehen sollte, ist der Kalender.
Die Zahlen des Kalenders sind rot.
Die Striche, das Dreieck und die Zahlen leuchten des nachts; also inzwischen relativ schwach, aber die werden ja auch älter.
Die Uhr heißt Foresta, nichts Berühmtes, kommt aus meiner Heimatstadt, deswegen wahrscheinlich Foresta wie (Schwarz-)Wald; kann aber auch sein, daß das von Förster kommt, so hieß nämlich die Manufaktur.

Die Uhr ist mindestens 60 Jahre alt oder vielleicht sogar noch ein bisschen älter. Ich war so zwischen 12 und 14 Jahre als sie mir das erste Mal bewusst auffiel.
Mein Vater trug sie tagtäglich. Wenn ich sie jetzt betrachte, dann sehe ich seinen Arm und die Uhr, die unter dem weißen Zahnarztkittel hervorlugt.
Sie läuft automatisch, immer noch relativ genau; pro Tag geht sie etwa eine Minute nach. Wie bei allen Automatik- und Handaufzugsuhren ‚läuft‘ der Sekundenzeiger, bei Quarzuhren springt er ja.

Jetzt kann man sich fragen, ob der Sekundenzeiger der Quarzuhr nicht vielleicht etwas verpasst, weil er den Zwischenraum überbrückt. mit einem Satz bei Automatik-Uhren oder Handaufzug füllen die Zeiger auch die Zwischenräume aus.
Wie im Leben ist ja auch immer etwas in den Zwischenräumen, manchmal sogar eine ganze Menge und es ist schon richtig, daß wir die mit Leben ausfüllen und nicht immer gleich zum Nächsten hüpfen.

Über Zeit – deswegen auch meine Liebe zu Uhren – könnte ich immer schreiben und nachdenken; mach ich auch, weil sie so unwiederbringlich ist.

Ich weiß, daß jedem klar ist, daß man nichts Wesentliches aufschieben soll, weil man ja nicht sicher ist, ob man es später nachholen kann.
Trotzdem schieben wir auf, immer in der Hoffnung – nein eigentlich ist das keine Hoffnung – wir denken einfach nicht daran und nehmen es als Selbstverständlichkeit, daß das Leben einfach weitergeht und die Zeit unendlich wäre.
Ist sie aber nicht, wie man manchmal auf abrupte, vielleicht grausame Weise erfahren muss.

Im Griechischen gibt es, wie ihr wisst, zwei Zeitbegriffe. Chronos bezeichnet den kontinuierlichen, unveränderlichen Fortlauf der Zeit, Kairos, der Gott der günstigen Gelegenheit, präsentiert die Zeit als Möglichkeit im Jetzt.

Die Redewendung „Eine Gelegenheit beim Schopfe packen“ bezieht sich auf Kairos. Er befand sich in ständiger Bewegung und war so schnell, daß man ihn erst bemerkte, wenn er direkt vor einem stand.
Es gab nur eine Möglichkeit, ihn zu halten; ein schneller Griff nach dem langen Haarschopf, der dem Gott in die Stirn fiel. Kairos‘ Hinterkopf war kahl.
Einmal vorbeigeeilt, bekam man den Gott der günstigen Gelegenheit nicht mehr zu fassen.

Tja!!

„Befreie dich für dich selbst und sammle und bewahre die Zeit, die dir entweder geraubt oder heimlich entwendet wurde und entschlüpfte!“ In seinem ersten Brief von Seneca an seinen Freund Lucillius empfiehlt er ihm dies.

Die Zukunft überlässt er dem Zufall. Sie ist ungewiss und zweifelhaft. „Keiner darf sich etwas auf die Zukunft versprechen, denn dies kann den Menschen nicht vorausgesagt werden.“

Zur gegenwärtigen Zeit, denn nur die ist von uns beeinflussbar, meint Seneca in „Von der Kürze des Lebens“:

Der größte Verlust für das Leben ist die Verzögerung: Sie entzieht uns immer gleich den ersten Tag, sie raubt uns die Gegenwart, während sie fern Liegendes in Aussicht stellt. Das größte Hemmnis des Lebens ist die Erwartung, die sich an das Morgen hängt und das Heute verloren gibt“

Nur Orpheus gelang es durch seinen Gesang die Zeit zurückzuholen und die Götter zu erweichen, daß sie ihm gestatteten Euridice aus dem Hades zurückzuholen,
Die Götter sind uns schon lange nicht mehr so wohl gesonnen, deswegen ist es besser die eigene aber auch besonders die gemeinsame Zeit zu nutzen.

  • Die erste Uhr, eine Taschenuhr hat übrigens Peter Henlein in Nürnberg erfunden; deswegen auch das „Nürnberger Ei“. Die Antriebsfeder ersetzte die Gewichte und Rollen der großen Uhren, die es seit dem 13. Jahrhundert gab.

Graf von Leicester wollte Elisabeth der I. eine Uhr schenken und befestigte ein Armband an einer Uhr, voilà die Armbanduhr!
Bis zum Burenkrieg und dem Ersten Weltkrieg wurden Uhren meist nur von Frauen getragen, erst danach auch von Männern. Wir sind eben immer etwas später dran mit Neuerungen.
1969 brachte Seiko die erste Quarzuhr auf den Markt.
Heutzutage geht das alles digital, aber eine SmartWatch ist für mich eben keine Uhr.

Für mich ist es immer noch wichtig eine ‚richtige‘ Uhr zu tragen, bin eben gerne altmodisch, gibt mir irgendwie so ein eigenbestimmtes Gefühl, daß mir die Zeit gehören würde.

Ich wünsche euch einen beständigen Sonntag, vielleicht habt ihr auch die Muse von Eckermann „Gespräche mit Goethe“zu lesen.
Passt wie immer auf euch und die anderen auf,
streitet nicht und haltet zusammen.

Lieben Gruß aus Hofheim
Euer Eckhard/Papa /Opa

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