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Halsbinder

Meine Lieben,

kürzlich war ich mal wieder mit dem Flieger unterwegs, als alter Vielflieger (stimmt beides, alt und schon lange Vielflieger) habe ich immer das Vergnügen, mich in einer Lounge verköstigen zu lassen.
Das angenehme ist, ich bin als Lounge-Besucher heutzutage nicht mehr wichtig und muß auch nicht so tun.

Keine Financial Times oder Managermagazine, auch keine Telefonate mit Kollegen oder sogar mit dem/der Chef/in, das merkt man oft daran, daß der Telefonierer meist nur nickt, „ja“ sagt oder auch manchmal mit den Augen rollt. Bei Männern kann man nicht mit Gewissheit feststellen, ist’s geschäftlich, der Vorgesetzte oder die Ehefrau (irgendwie sind die ja miteinander verwandt).

Ich kann lesen, was ich will, auch ein mitgebrachtes Buch, mich zufrieden in meinem Sessel fläzen (das ist jetzt eines dieser Wörter aus meinem Kalender, die gefährdet sind, in der Versenkung zu verschwinden), ein paar Wiener, schwäbisch Saitenwürschtle, mit Kartoffelsalat essen, vielleicht noch eine Brezel dazu und ein Schlückchen von irgendetwas – es gibt ja mehr oder weniger alles – trinken.
Und das alles kann ich bei voller Entspanntheit tun, bewusst und nicht, wie die meisten anderen, aus Erschöpfung nach einem anstrengenden Tag.

Auch fällt mir dann auf, daß eigentlich fast keiner der Anwesenden wirklich zufrieden dreinblickt.
Ok, die Mitarbeiter, aber die werden ja auch dafür bezahlt, zuvorkommend zu lächeln; dafür haben sie wahrscheinlich auch ein Training genossen, daß sie Zufriedenheit ausstrahlen müssen, um den Eindruck zu erwecken, daß dies, genau dies ihr Traumjob ist.

Und die Anzugsordnung!
Heutzutage ist „business casual“ die Uniform, ihr wißt ja, was das ist.

Das war früher mal anders, Anzug, einfarbiges, meist weißes oder blaues Hemd, Krawatte oder auch (seltener) Fliege.
Irgendwann fing das dann an, es gab einen „casual friday“, d.h. man hat die Krawatte in meinem Fall die Fliege weggelassen und kam mit offenem Hemd, so wie heute die meisten Politiker (außer Selenskyi, der ist in olivgrün, hat dafür aber auch einen Grund) und Manager unterwegs sind.

Man hat natürlich trotzdem gesehen, wer etwas besseres anhatte, wessen Pullover etwas wertvoller war. Übrigens finde ich das englische Wort Jumper für Pullover einfach schön, das nur mal so nebenbei.

Manchmal würde ich gerne mal wieder eine Krawatte tragen und vor allem nicht nur bei traurigen Anlässen.

Sobald ich vor dem Spiegel stehe und mit dem Krawattenbinden beginne, sehe ich mich zuhause in unserer Diele, eigentlich war das keine Diele, sondern ein großer viereckiger Raum, ich wurde, eingefasst von einem mächtigen Goldrahmen, widergespiegelt.

Hinter mir mein älterer Bruder Rainer, seine Arme an mir vorbei, er verwandelte diesen Strick in einen Windsor Knoten, den kann ich logischerweise noch immer,
aber auch noch ein, zwei andere; eine Fliege zu binden habe ich nie geschafft.

Ich weiß nicht, ich hätte schon Lust mir mal wieder ab und zu eine Krawatte umzubinden, ich habe noch unglaublich viele wunderbare, teure Binder.
Das Tragen scheitert nicht nur am Einspruch meiner besseren Hälfte (Sie meint, wenn man schon alt ist, muß man nicht auch noch Altertümliches anziehen.), sondern auch zum Teil an der Kragenweite des Hemdes. Ich habe noch viele Hemden, wie auch Jackets, die Jackets sind völlig aus der Mode, daß nicht mal ich sie mehr anziehe, aber bei den Hemden hat sich mein Hals (den ich angeblich nicht habe) in der Kragenweite verschätzt.
Mache Hemden bekomme ich zwar noch zu, aber das geht dann doch mit etwas Luftmangel einher.

Trotz allem ist es doch ein erheblicher Vorteil solch einen Halsbinder zu tragen. Man schafft einen natürlichen Abstand, keiner spricht dich mit ‚Du‘ an, eine Krawatte ist irgendwie ‚du-abweisend‘, höfliche Distanz und Respekt sind selbstgegeben.
Kürzlich in einem Hotel sprach mich die Rezeptionistin ebenso an – „Du“.
Ich war so baff, daß ich nichts erwidern konnte, mein Sohn, der dabei war meinte, das wäre heute normal, also das mit dem Du, nicht das baff.

Ich denke, ich muß noch ein Weilchen warten. Wie alles wird die Zeit des Binders wiederkommen; gilt ja für vieles andere auch, zu kurze Hosen, Hosen mit Schlag, Miniröcke, Rollkragenpullis etc.
Vielleicht dann auch das mit dem ‚Du und Sie‘, früher sagte man immer es sei einfacher „Du A….“ zu sagen als „Sie A……“, deswegen blieb man beim Sie und dachte sich dann seinen Teil.

Wollt ihr mal wieder einen Lesetipp? Warum nicht von Erich Kästner „Die verschwundene Miniatur“ und als Musik heute:

Ich wünsche euch einen behaglichen Sonntag,
paßt auf euch und die anderen auf, streitet nicht
und haltet zusammen!

Lieben Gruß vom See
Euer Eckhard/Papa/Opa

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