Meine Lieben,
um 11.15 Uhr hatten wir heute Schule aus, so kurz vor 12 kam ich nach Hause. Keiner da, mein älterer Bruder arbeitete bzw. war in der Berufsschule für Uhrmacher.
Der Kleine war noch im Kindergarten und würde etwa in einer halben Stunde auftauchen. Ich hängte meine Jacke an den linken (Kinder)kleiderhaken, der rechte war für den Kleinen bestimmt. Es waren goldene, verschnörkelte Haken links, bevor man in die Küche ging, in der richtigen Höhe für uns Kinder angebracht.
Ich ging in die Küche, holte mir aus dem Kühlschrank etwas zu trinken, Apfelsaft und Sprudel. Der Apfelsaft war vom Lindemann, einer Kelterei, zu der wir jeden Herbst unsere Äpfel brachten, die aus dem Garten und die vom Acker.
Jetzt denkt nicht, daß das nur so ein paar Äpfel waren, nein, es waren schon unglaublich viele. Ich kann mich noch an ein Jahr erinnern, in dem wir über fünfhundert (500!) Ein-Liter-Flaschen Saft für unsere Äpfel bekamen!
Das hieß also vorher: Bäume schütteln, Äpfel auflesen, in Säcke füllen, zur Mosterei fahren, ausladen, Säcke entleeren, leere Flaschen, die vom Jahr vorher, übergeben, volle Flaschen einladen und dann zuhause im Keller auf die Regale stellen. Von der Straße bis zum Keller machten wir eine Menschenschlange, nicht als Demo, sondern zum schnelleren Transport, manchmal halfen auch ein paar Freunde mit und reichten so die Flaschen durch.
Teamarbeit!
Ich kann mich nicht erinnern, daß wir je etwas anderes, zumindest für uns Kinder, zu Hause hatten als eben diesen Apfelsaft. Irgendwelche Limos oder womöglich Cola, das war ausgeschlossen, Apfelsaft mit Sprudel war angesagt!
Auf dem Küchentisch lag eine von meiner Mutter handgeschriebene Arbeitsanweisung für mich, was zu tun sei, beide Elternteile waren noch bei der Arbeit und würden erst zwischen 13 und 13.30 Uhr aus der Praxis vom ersten Stock nach oben kommen.
Bitte Tisch decken, wir haben heute noch eine Person mehr, die Sprechstundenhilfe isst mit uns. Setze den Reis auf, Salat waschen, Zwiebeln schneiden und nimm den Topf mit dem Gulasch aus dem Eisschrank und erwärme es langsam.
Ich wußte, wie das funktionierte mit dem Reis. Erst waschen, dann in den Topf mit ein wenig Fett und Zwiebeln, doppelte Menge Wasser dazu und warten bis er „Löcher“ zieht, vom Herd nehmen, einpacken, meist nahm ich ein großes Badetuch, und dann ab ins Bett mit ihm.
Mach ich übrigens heute noch so!
Meine Mutter kam ein paar Minuten vor dem Vati, lobte mich meist für meine Vorbereitungen und gab dann dem Mittagessen den letzten Feinschliff.
Wenn alle auf ihren Plätzen saßen, es war immer dieselbe Sitzordnung, wünschten wir „Guten Appetit“ und endlich war es soweit. Meist begannen wir mit einer Portion Salat, danach die Hauptspeise.
Auf Tischmanieren wurde sehr viel Wert gelegt. Nicht auf dem Stuhl schaukeln, nicht mit vollem Mund sprechen (machen sie übrigens in jedem Fernsehfilm), legte man einen Ellenbogen auf den Tisch, räusperte sich unsere Mutter, warf uns einen entsprechenden Blick zu und schon saß man wieder vorschriftsmäßig.
Vor dem Nachtisch, es gab fast immer Nachtisch, irgendwelche eingeweckten Früchte, fand in der Regel noch ein kurzer Wettbewerb unter uns Kindern statt, wer jetzt den Rest des Salats direkt aus der Schüssel essen durfte. Das funktionierte in etwa so, daß man die Salatschüssel mit beiden Händen hielt, kurz, aber wirklich nur sehr kurz fragte, „will noch jemand?“ und mehr oder weniger sofort ohne Zeitverzögerung zu essen begann. Es ging aber nicht um den Salat, sondern nur um die Salatsoße!
Herrlich!
Essenszeiten hatten einen festen Rhythmus. Am Morgen unter der Woche aßen wir Kinder meist vor den Eltern, weil wir eben früher zur Schule mußten, etwa 10 vor halb 8. Im Sommer gab es Müsli (das waren aber nur Haferflocken) mit Früchten aus dem Garten. Im Winter einen Haferbrei, mit einem großen Stück Butter in der Mitte. Es war wunderbar, wenn die Butter so gelb dahinschmolz. Ich behaupte, daß ich wahrscheinlich relativ gute Zähne habe, fast nie zum Zahnarzt muß, weil diese Haferbreikost sich doch irgendwie positiv ausgewirkt hat.
Mittagessen immer gemeinsam.
Das Abendessen meist wir Kinder alleine, wir haben uns entweder ein Brot mit Wurst, meist Salami, gemacht oder ich habe beim Kolonialwarenhändler gegenüber, dem Warner, eine Büchse Ravioli für mich und meinen Bruder geholt. Manchmal haben wir experimentiert und die Ravioli noch überbacken oder etwas dazu geschnibbelt, das wir für passend hielten.
An Samstagen, während des Sommers, hat meine Mutter oft einen Eintopf vorbereitet (Bohneneintopf mit Hammel, einfach grauslich! fand ich). Der wurde dann im Garten, auf dem Hachel, das war etwas zwei Kilometer von der Wohnung entfernt, gemeinsam mit irgendwelchen Helfern, die mein Vater für die „schweren“ Arbeiten angeheuert hatte, gegessen.
Die Sonntage gehörten der Familie, Frühstück, Mittag- und Abendessen gemeinsam, ebenso unter Umständen eine nachmittägliche „Kaffeefahrt“. Es war völlig undenkbar, daß wir Freunde eingeladen hätten oder wir an Sonn- und Feiertagen nicht dabei gewesen wären. „Sonntags gehm mr net uff’d Gass, des g’hört sich net“, hieß das.
Was sich auch nicht „gehörte“, war, auf der Straße etwas zu essen oder, wie heute üblich, mit einem Kaffeebecher durch die Straßen zu wandeln, unmöglich. Ok, ein Eis vom Casal zum Schlecken, das war erlaubt.
Hat irgendwie alles auf mich ein wenig abgefärbt und so schlecht ist das ja auch nicht, wenn man ein bißchen weiß, wie man sich benehmen soll, oder? Gibt auf jeden Fall einem ein bißchen Sicherheit.
Lesetip: Guy de Maupassant „Auf See“ und Musik von, na klar, von und mit Brian Wilson, https://youtu.be/UkET6EgsfVA und https://youtu.be/CCYw3HrtXAQ
Ich wünsche euch einen wunderbaren, gemeinsamen Sonntag. Paßt auf euch auf, streitet nicht und haltet zusammen.
Lieben Gruß vom See
Euer Eckhard/Papa/Opa
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