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Vergangenes

Meine Lieben,

das war 1968, ich war 17 Jahre alt, sechs Wochen in Paris und habe dort das erste Mal diesen Song gehört, bis heute ein Lieblingslied von mir und es war die Melodie, die erklang, wenn meine Mutter mich angerufen hat. Nach ihrem Tod habe ich diese Erkennungsmelodie an meinen Bruder weitergegeben.

Morgens auf dem Weg von der Rue Littré zur Alliance Française am Boulevard Raspail, warmer Luftzug aus den Schächten der Metro, Verkehrslärm, vorbei an Bistros, bei Rot über die Fußgängerampeln, wie alle da; da sang ich dieses Lied.
Ritzte den Titel mit dem Kugelschreiber in die Holzbank, nachmittags auf dem Nachhauseweg vergnügte ich mich eine ganze Zeitlang am Flipperautomaten im Bistro um die Ecke und abends war ich dann eben meist zu Hause.

Es war eine wunderbare Zeit, ich hatte das Gefühl von Freiheit, wenn ich am Pont Neuf meine Gauloises rauchte, später auf eine Demo gegen den russischen Einmarsch in die Tschechoslowakei ( das war zu dem Zeitpunkt noch ein Land) teilnahm.

Das war acht Jahre vor meinem 25. Geburtstag. Jetzt fragt ihr euch, warum der denn irgendwie anscheinend wichtiger war als andere Geburtstage.
War er grundsätzlich nicht.
Aber zum 25. habe ich von meiner Mutter eine antike Uhr, eine Tischstanduhr bekommen. Sie ist aus Holz, etwa 30 cm hoch und ca. 25 cm breit. Das Zifferblatt ist goldverziert, die beiden Zeiger eben altmodisch, vorne zwei Löcher, da steckt man diesen großen Schlüssel rein, um sie aufzuziehen.
Sie schlägt zu vollen und zu halben Stunden.
Wenn ich eine Zeitlang weg bin, ist meine letzte Amtshandlung diese Uhr aufzuziehen, damit sie durchhält bis ich wieder da bin. Sie läuft etwa zwei Wochen, dann braucht sie mich, um ihr wieder Leben einzuhauchen.

Die Mutti hat die Uhr bei einem Antiquitätenhändler am Pfälzer Platz – bei uns in der Nordstadt – gekauft. DM 540,- hat sie gekostet, sie ist aus dem 19.Jahrhundert.

Wo auch immer ich in den letzten Jahren – immerhin bin ich fast 20 Mal umgezogen – mich niedergelassen habe, hat sie mich begleitet.
Man sollte sie nicht groß berühren, sie ist ein Sensibelchen und bleibt dann trotzig stehen und geht keinen Schritt mehr.
Es kann dann Stunden dauern, bis ich sie durch vorsichtiges Anschieben, sprich das Pendel zärtlich anzustoßen, wieder in Gang bekomme.
Als vor drei Jahren meine Mutter starb, war ich mehr als zwei Wochen nicht da und sie stand. Und ich glaube, ich brauchte mehr als drei Tage, bis sie sich wieder bequemte, mir die Zeit zu zeigen.

Vor ein paar Tagen ist nun etwas ganz Fürchterliches passiert; es mag euch nicht so schlimm vorkommen, aber für mich ist es entsetzlich. Sie hat einfach Mitte eines Tages den Dienst verweigert!
Sie steht.
Seit Tagen versuche ich nun verzweifelt, sie wieder in Gang zu bringen, bis jetzt erfolglos, alle möglichen abenteuerlichen Gedanken gehen mir durch den Kopf, die natürlich nicht logisch sind, sondern nur emotional sind.
Was bedeutet das, daß sie einfach nicht mehr will?
Ich werde es weiter versuchen, sie dann doch wahrscheinlich schweren Herzens zum Uhrendoktor bringen; es wird das bestimmt wieder!
Ihr Ticken fehlt mir schon jetzt, wenn ich ins Zimmer komme.
Verrückt wie man an solchen Dingen hängt.

Was mir vor kurzem auch so durch den Kopf ging, war die Frage, was ist eigentlich schöner:
Der erlebte Moment des Erlebens oder die Erinnerung daran.
Eine Antwort habe ich nicht gefunden, vielleicht ist das so, daß im Augenblick des Erlebens, man es oft nicht bewußt wahrnimmt, irgendwie zwar schön, romantisch,
aufregend usw. findet, aber es ist eben nur ein Wimpernschlag.

Später, auch viel, viel später ist das dann anders. Denke ich mich zurück, erlebe ich es nochmals, ganz bewußt, das Gefühl von damals kommt zurück und übrigens nur das Positive alles Negative ist meist, wenn es nicht ganz extrem war, verschwunden.
Diese Gefühl kann man dann unendliche Male wiederholen, so zehre ich lange, lange an dem Vergangenen, indem ich sie kurz für mich aufwecke.

Wunderbar!

Ich wünsche euch einen erinnerungswürdigen Sonntag.
Paßt auf euch auf, streitet nicht und haltet zusammen.

Lieben Gruß vom See

Euer Eckhard /Papa/Opa

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