Meine Lieben,
kürzlich fuhr ich einkaufen in die Schweiz. Vor mir fuhr – unbemerkt – mein Schweizer Freund. Er fuhr recht langsam, vorsichtig, was normalerweise nicht seine Art ist. Später stellte ich fest, sie waren zu zweit, hatten Bierbänke geladen. Es war jetzt nicht zu erkennen ob er wegen der Bierbänke oder wegen seiner Lebensgefährtin so schlich!
Naja, das spielt jetzt keine Rolle, wir fuhren über die Grenze, Grenzer stehen da selten, nur manchmal nach der ersten Kurve. Sie kontrollieren aber nur Schweizer, ob die unter Umständen nicht zu viel Fleisch eingekauft haben.
Konfiszieren die Zöllner das für ihre Grenzerbetriebsgrillparty oder zahlt man einfach etwas? Also kein Bakschisch sondern Einfuhrgebühren, meine ich.
Während ich so dahinzuckelte ging mir folgendes durch den Kopf: wie fühlt er sich, wenn er in die Schweiz fährt? Anders, zuhause, aufgehoben, sicherer? Wie fühle ich mich, wenn ich nachher wieder zurückfahre?
Ja, irgendwie anders. Irgendwie doch sicherer. Nicht, dass die Schweiz ein unsicheres Land wäre, aber ich habe nicht gerne mit Behördenvertretern zu tun und im Ausland wäre das noch unangenehmer.
Im Ausland halte ich mich an alle Gesetzte, also nicht, dass ich in Deutschland ein Gesetzloser wäre, aber hier fahre ich eher etwas zu schnell oder biege auch mal ab, wo man nicht sollte. So etwas würde ich im Ausland nie tun.
Mit diesen ganzen Gedanken komme ich dann zu der Frage, was denn dann Heimat ist? Ist das für meinen Schweizer Freund, hier oder dort? Ich werde ihn mal fragen.
Für mich? Weiß ich nicht. Heimat hat für mich viel mit Sprache zu tun- Ich wäre in Norddeutschland wahrscheinlich ähnlich fremd, wie in einem anderen Land, in der ehemaligen DDR sogar noch mehr, da fehlt mir jeder Bezug.
Meine Heimatstadt, das ist irgendwie Heimat, aber ganz so sicher bin ich mir auch nicht. Ja, ich kenne dort fast jeden Stein, die Abkürzungen auf dem Weg ins Zentrum, die vielen Schulen, die ich besucht habe, die ein, zwei Freunde, die noch da sind.
Und ich liebe den Friedhof meiner Heimatstadt. Das ist ein riesiger Park mit alten Kastanienbäumen, vielen wunderbaren Grabmalen, manche fast wie Mausoleen. Ich bin dort viel zu selten. Nächstes mal wenn ich wieder mal da bin werde ich ihn besuchen.
Kastanien auf das Grab meines Schulfreundes legen, meine Väter und Großväter/Mütter besuchen. Mich eine Weile auf eine Bank setzen, den Eichhörnchen zuschauen und den alten Frauen zunicken, die die Gräber ihrer Männer pflegen.
Ein heimeliger Ort für mich, dieser Friedhofspark.
Logischerweise fragt man sich, ob man hier begraben sein möchte. Alle unsere Kinder und Enkelkinder sind nicht hier. Wer gießt mich dann? Das kann man übrigens organisieren und zudem könnte mir das auch egal sein, da mir sowieso kein Zahn mehr weh tut, wenn ich die Radieschen von unten betrachte.
Ich kann mir natürlich auch ausmalen, dass ich dann des Nachts alte Freunde besuchen könnte, so während der Geisterstunde. Herumwandern, ein Schwätzchen halten, über vergangene Zeiten quatschen.
Was für verrückte und zum Teil dunkle Gedanken! Und nur weil ich mich fragte, was Heimat ist?
Ich auf jeden Fall freue mich, dass ich bin wo ich bin, bin wer ich bin und von einigen erkannt werde als der, der ich bin.
Ich wünsche euch einen wunderbaren Sonntag, hier vom See.
Zum Lesen, Sten Nadolny „Netzkarte“ und für die gute Laune ein bisschen Chuck Berry https://youtu.be/6swgiM9vSEE
Lieben Gruß und gebt auf einander acht.
Papa/Eckhard
Schön. Ja, Sprache(n) sind für mich auch „Heimat“ und Freunde auch. Weniger Orte. Oder dann Orte zusammen mit Sprache, v.a. der Klang der Sprache, z.B. Provençal … da taucht vor dem innern Auge Farbe, Licht und Landschaft auf, ertönen Klänge, Musik und Rhythmen einer Sprache. Ich spreche dann von „Seelenheimat“. „Daheim“ fühlen tue ich mich -wenn ich‘s mir gründlich überlege- meistens da, wo die „Dinge„
d.h. Orte, Häuser, Gärten etc. und die Menschen freundlich, echt, „schön“ (nicht i.S. der Ästhetik!) sind. Authentizität und ja, auch Harmonie, irgendwie … aber dann oft irgendwie auch wieder nicht harmonisch … widersprüchlich, spannend, überraschend. Es gibt z.B. Dörfer in Deutschland, z.B. auf der schw.Alb, welche ich abscheu(ss)lich finde, trist und trostlos, ich mich so fremd fühle, die mir das exakte Gegenteil von „daheim“ vermitteln, obwohl sie z.T. in wunderschöne Landschaften eingebettet sind. Know what I mean?
Und solltest Du mit dem Biertisch transportierenden CH-er Freund mich gemeint haben -was ich annehme- darf ich Dir mitteilen, dass mich beim Übertreten der Grenze mitnichten ein „Daheim-Gefühll“ und noch weniger ein Heimat-Gefühl ergreift. Schon eher beschleicht mich oft die unheilvolle Vorahnung einer Grenzkontrolle (obwohl Ich ja meistens Regelkonform passiere!!) durch unfreundliche Zöllner, mit welchen ich dann sofort und unkontrolliert in Konflikt gerate und ausraste.
Bien à toi, JP